Erste Schritte ins Berufsleben

Praktikumsplätze in Handwerk und Industrie gesucht

Hürth/Rhein-Erft-Kreis. Pünktlich, höflich und zuvorkommend – mit diesen Worten würde wohl jeder Ausbilder den idealen Azubi oder Schülerpraktikanten beschreiben. Diese Eigenschaften können Batool (18), Theodore (17), Gracjana (17), Adrianna (17) und Berhan (16) aufweisen. Sie verfügen über hervorragende Umgangsformen, aber trotzdem steht zwischen ihnen und einem Praktikumsplatz in Handwerk oder Industrie ein Hindernis: Sie sind erst seit kurzem in Deutschland und verfügen deshalb nur über geringe Sprachkenntnisse.

Alle Jugendlichen besuchen zurzeit die Internationale Förderklasse, die im August 2014 am Goldenberg Europakolleg in Hürth eingerichtet wurde, um berufsschulpflichtige Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund aufzufangen. Aufgrund ihrer noch unzureichenden Sprachkenntnisse können sie nicht am Unterricht in einer Regelklasse teilnehmen. Ziel dieser Klasse ist daher vor allem: die Vermittlung der deutschen Sprache auf den unterschiedlichsten Niveaustufen. Nach spätestens zwei Jahren in der IFK sollen die Jugendlichen in der Lage sein, am Regelunterricht anderer Bildungsgänge teilzunehmen oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden.

Gruppenarbeit in der Internationalen Förderklasse HP

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vermittlung von Kultur und Politik unseres Landes: Zu diesem Zweck besichtigten die Schülerinnen und Schüler den Landtag in Düsseldorf, ein Bergwerk und den „Garten der Religionen“ in Köln. Diskussionen über Gleichberechtigung, Unterdrückung von Minderheiten sind in diesem Zusammenhang eine große Bereicherung.

Dritter Schwerpunkt ist die Vorbereitung auf das Berufsleben. Die Jugendlichen gewinnen Kenntnisse über das deutsche Bildungs- und Ausbildungswesen und absolvieren Hospitationen und Praktika in Ausbildungsbetrieben. Die Berufsinformation der Arge ergänzt das Bild. Lehrerin Kerstin Kurth sieht, dass viele Fähigkeiten und Fertigkeiten bei ihren Schüler vorhanden sind, sodass sie höherwertige Schulabschlüsse mit Erfolg erreichen können – soweit sie ihre sprachlichen Hürden überwunden haben.

Die Schüler dieser Klasse zeigen – vor dem Hintergrund ihrer ähnlichen Fluchtgeschichten – eine hohe Bereitschaft zu lernen sowie eine hohe Sozialkompetenz: Gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme sind selbstverständlich. Stephan Heuser, Schulsozialarbeiter an der Hürther Schule, formuliert es so: „Die Jugendlichen sind in ihren Heimatländern in intakten Familienstrukturen aufgewachsen. Ihr Ziel ist es, nach den Wirren der Flucht, wieder in geordneten Verhältnissen zu leben. Dazu gehört für sie natürlich auch eine gute Berufsausbildung.“

Kennenlernübungen in der Internationalen Förderklasse HP

Die Kombination von guten bis sehr guten Fachkenntnissen und Umgangsformen bei geringen Sprachkenntnissen erfordert von den Lehrerinnen und Lehrern, die in der Klasse unterrichten, ein hohes Engagement. Belohnt würde ihr Einsatz, wenn sie miterleben, dass ihre Schützlinge den Weg ins Berufsleben meistern.

Landrat Michael Kreuzberg hat in seiner Rede anlässlich des Sommerfestes des Rhein-Erft-Kreises die Willkommenskultur des Kreises für Flüchtlinge hervorgehoben: „Willkommenskultur ist viel mehr als nur Unterbringung und Versorgung. Integration in Schule und Beruf gehört ebenfalls dazu und ist für die Zukunft der jungen Menschen ebenso wichtig wie für unsere Gesellschaft. Das Projekt der Internationalen Förderklasse zeigt eindrucksvoll, wie Integration in unserer Gesellschaft effektiv, nachhaltig und individuell gefördert werden kann“, so Michael Kreuzberg.

Im Schuljahr 2015/2016 wird eine weitere IF-Klasse am Goldenberg Europakolleg eingerichtet, denn die Flüchtlingsströme werden so schnell nicht versiegen. Matthias Herwartz, Schulleiter des Berufskollegs, sieht darin auch eine Chance: „Wir wissen seit Jahren um die demografische Entwicklung in Deutschland. Bis 2030 wird die Bevölkerungszahl in NRW um 3,7 % abnehmen. Um dem Fachkräftemangel, aber auch der Überalterung der Gesellschaft vorzubeugen, ist eine Investition in diese Jugendlichen sinnvoll.“ Er appelliert an Betriebe und Unternehmen in Hürth, Praktikumsplätze bereitzustellen – von kurzen zweiwöchigen Plätzen bis hin zu Jahrespraktika.

MÜN